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KRITIK AN BEHAVIORAL FINANCE

Die verhaltensorientierte Finanzwissenschaft steht im Widerspruch zur neoklassischen Finanztheorie. Da sie keine komplette Erklärung zum Funktionieren der Märkte liefern kann, bietet sie eine grosse Angriffsfläche für Kritik. So bemerkt Eugene Fama (1998, S. 291) beispielsweise, dass diese Theorie in keiner Weise mit der effizienten Markthypothese mithalten kann. Fama schreibt, dass jedes neue Modell nach dem Kriterium bewertet werden soll, ob es das „big picture“ beschreiben kann. Im Falle von Behavioral Finance wo dieses mittels Anomalien anstelle von Markteffizienz erklärt werden soll, ist seine Meinung ein klares Nein.

Da die junge Wissenschaft der Behavioral Finance momentan eher eine Sammlung einzelner Unregelmäßigkeiten ist und einige Phänomene durch den Lerneffekt verschwinden, stösst sie weiterhin auf grössere Ablehnung. Historische Analysen über Unregelmässigkeiten ermöglichen zudem keine genaue Prognose über die Zukunft, weshalb auch die im Zuge dieser Arbeit befragten Personen der Thematik eher kritisch gegenüberstehen. Trotzdem anerkennen alle Interviewpartner, dass einzelne Personen nicht immer rational handeln und sich gewisse Muster wiederholen. Auch Praktiker wie zum Beispiel Goedhart, Koller und Wessels (2005, Seite 318) halten an den etablierten Kapitalmarktmodellen fest, obwohl sie Schwächen einsehen. Sie verwenden einen pragmatischen Ansatz, um die bewährten Modelle zu verteidigen und bemerken: „It takes a better theory to kill an existing theory, and we have yet to see the better theory. Therefore, we continue to use the CAPM while keeping a watchful eye on new research in the area“.

Tabelle 9 zeigt einen Ausschnitt verschiedener Anomalien und deren Erklärungsversuche mittels rationalen und verhaltensorientierten Theorien. Das Feld „Gewicht“ beschreibt, welcher Erklärungsversuch empirisch mehr erhärtet worden ist. Die rationalen und irrationalen Erklärungen halten sich in etwa die Waage.

Tabelle 9: Argumentation neoklassische vs. verhaltensorientierte Lehre. Quelle: Jaunich

Kritiker der verhaltensorientierten Wissenschaft glauben an die Vernunft von wirtschaftlich handelnden Personen und sehen vollkommen effiziente Märkte, bei welchen alle verfügbaren Informationen sofort in den Preisen wiederspiegelt werden. Durch die natürlichen Marktkräfte würden sich Unregelmässigkeiten zudem sehr rasch wieder einpendeln. Durch die Dissonanz vom Glauben an rational agierende Menschen zu den Erkenntnissen aus der Prospekttheorie werden Rechtfertigungen gesucht. Die Kritiker verwerfen das Modell von Kahneman und Tversky mit der Aussage, dass die im Labor festgestellten Nutzenfunktionen in der Praxis nicht immer greifen und Personen durch Erfahrung und Wissen in der Praxis nicht mehr diesem irrationalen Verhalten unterliegen.

Da zahlreiche Untersuchungen die effiziente Markttheorie widerlegen, andererseits wissen-schaftliche Arbeiten diese Beurteilungen wiederum kritisieren, scheint es unmöglich zu sein, die eine oder andere als die wahre Lehre zu akzeptieren. Deshalb präsentiert sich die Frage über das beste Modell zur Erklärung des wirtschaftlichen Zusammenspiels in einer anderen Form.

Nach Auffassung des Autors ist sowohl die Kritik an der effizienten Markthypothese, wie auch diejenige an der verhaltensorientierten Wissenschaft gerechtfertigt. Ein Modell wie die EMH, welches die absolute Korrektheit der Formeln und Erklärungen verlangt, kann jedoch einfacher widerlegt werden wie ein Modell, welches offen ist gegenüber neuen Erkenntnissen und Beobachtungen. Die Behavioral Finance hat nicht den Anspruch die EMH abzulösen, sondern will als ergänzende Theorie neben der klassischen Lehre akzeptiert sein. Für grundlegende Bewertungsmethoden und die Erklärung von makroökonomischen Zusammenhängen  bezüglich der Veränderung bei einzelnen Anlageklassen, ist ein Modell von Nöten, welches mittels einer Formel ohne unbekannte Parameter verlässliche Resultate liefern kann. Das CAPM (Capital Asset Pricing Model) und die CAL (Capital Allocation Line) sind deswegen sicherlich geeignete Instrumente. Trotzdem sollte bei diesen Methoden ein unbekannter Faktor eingebaut (oder im Hinterkopf gehalten) werden, welche eine gewisse Streuung der Resultate zulässt. Die verhaltensorientierte Finanzwissenschaft greift die neoklassische Lehre nämlich nicht in den Kernpunkten an, sondern zeigt Unregelmässigkeiten auf, welche beweisen, dass die EMH um verschiedene, schwer quantifizierbare Faktoren ergänzt werden sollte. Das Ziel der verhaltensorientierten Lehre ist deswegen auch nicht, das grosse Bild zu deuten, sondern sie will die Erklärungslücken der klassischen Lehre füllen. Zudem hilft die Theorie, den Efficient Frontier auf die Risikoneigung und der einzelnen, unterschiedlichen Nutzenfunktionen verschiedener Anleger anzupassen. So ändert sich der ursprünglich berechnete Frontier je nach Verlustaversion, Anlagehorizont und weiteren persönlichen Merkmalen.

Gemäss Alfons Cortés (Private, 2004, S. 22-23) werden Börseninformationen grundsätzlich auf zwei Ebenen analysiert. Die eine befasst sich mit den zugrundeliegenden volks- und betriebswirtschaftlichen Daten, die andere mit deren vermuteten Wirkung auf die Handlungsweise der Marktteilnehmer. Letztere ist die Domäne der Behavioral Finance. Die gewonnenen Erkenntnisse über situatives, irrationales Anlegerverhalten fördert deswegen ein besseres Verständnis des realen Marktgeschehens. Die kontroverse Diskussion sensibilisiert die Anleger bezüglich des eigenen irrationalen Verhaltens und führt zu einer besseren finanziellen Aufgeklärtheit.

MARKTVERHALTEN

Die ersten beiden Themenfelder beschrieben irrational handelnde Investoren und psychologische Muster. Da einzelne Anleger den Markt jedoch nicht beeinflussen können, müssen die Verhaltens-muster systematisch sein und dürfen sich gegenseitig nicht aufheben. Im letzten Themenfeld „Marktverhalten“ wird die Auswirkung aller irrationalen Entscheidungen auf den Gesamtmarkt untersucht. Andrei Shleifer (2000, S. 10-20) beschreibt in seinem Buch „Inefficient Markets“ weshalb die Suche nach einer zur EMH gegensätzlichen Theorie betrieben wurde und bringt die EMH mit drei Argumenten ins Wanken: Erstens geht die starke EMH von rationalen Investoren aus.  Empirische Untersuchungen haben aber irrationale Verhaltensmuster aufgezeigt. Zweitens brechen Anleger die Bayes-Regel (bewerten von abhängigen Wahrscheinlichkeiten) und andere Wahrscheinlichkeits-Theorien systematisch und bewerten Informationen je nachdem, wie sie präsentiert werden (Framing).

Die schwache EMH gemäss Friedman und Fama könnte jedoch weiterhin existieren, nämlich wenn diese Argumente auf den Gesamtmarkt keinen Einfluss hätten, oder Arbitrageure solche Fehlinterpretationen sogleich ausnutzen würden.  Die Behavioral Finance reagierte auf diese Argumente und zeigte Situationen auf, in welchen Märkte über längere Zeit fundamentale Anomalien aufwiesen, welche durch die EMH nicht erklärt werden konnten. Diese Ineffizienzen traten auf, weil rationale Arbitrage in Wirklichkeit teilweise limitiert ist (fehlende Instrumente oder zu hohe Kosten) und ihrerseits gar Marktverwerfungen hervorrufen kann (De Long et al., 1990; Jacobsen, 1999). Zudem beschreibt Shleifer, dass sich die Anleger aufgrund des Herdenverhaltens gegenseitig nicht aufheben sondern verstärken.  Diese nicht-rational agierende Anleger, welche behavioristisch handeln, werden in der Literatur oft als Noise-Trader bezeichnet. Diese stehen im Gegensatz zu den News-Tradern, welche aufgrund aktueller News handeln (Kyle, 1985, S. 1315 ff.).  Diese Arbeit beschreibt Theorien im Feld des Marktverhaltens, welche die effiziente Markttheorie anzweifeln und verschiedene Anomalien aufzeigen. Der Aufbau wird in Abbildung 6 dargestellt.

Abbildung 6: Theorien im Feld „Marktverhalten“. Eigene Aufbereitung.

3.3.1.Overreaction und Mean Reversion

Dass Anleger auf neue Informationen nicht immer adäquat handeln, ist eine verbreitete Erklärung für Abweichungen der effizienten Markthypothese. Zum Beispiel reagieren Anleger zu stark auf vergangene Renditen, das heisst sie kaufen Aktien mit historisch überdurchschnittlichen Renditen oder meiden solche mit negativen Renditen. Zudem verletzen sie die Bayes-Regel bezüglich der Reaktion auf neue Informationen.  Solche Reaktionen können Preise über oder unter den fairen Wert drücken (Lo, 1997, S. 6). Richard Thaler widmete diesem Thema in beiden Büchern „Advances in Behavioral Finance“ (Volume I & II) jeweils ein ganzes Kapitel. Diese Arbeit beschränkt sich darauf, die beobachtbare Reaktion nach starken Ausschlägen zu beschreiben. Gründe dafür und geeignete Massnahmen um das Phänomen auszunutzen, liefern verschiedene Werke, darunter Hong und Stein’s „A unified theory of underreaction, momentum trading and overreaction in asset markets“ (1997) sowie verschiedene Arbeiten von Barberis, Shleifer und Vishny.

Zum Beweis der Overreaction-Hypothese wurden verschiedene Portfolios von Gewinneraktien mit  vergleichbaren Verliereraktien-Portfolios verglichen. Die Resultate sind verblüffend, denn die einstigen Gewinner schneiden über die folgenden Jahre massiv schlechter ab als die einstigen Verlierer. Je nach Versuchsanordnung ergeben sich Ertragsdifferenzen von über 20%. Interessant dabei ist, dass sich die Rendite vor allem in den Januar-Monaten unterscheidet. Abbildung 7 zeigt die Rendite des Verliererportfolios gegenüber dem Gewinnerportfolio. Die Portfolios beinhalten die 35 besten, respektive schlechtesten Aktien.  Die dargestellte Abweichung sind Prozentangaben im Verhältnis zum Gesamtmarkt. 

Abbildung 7: Contrarian Strategie. Quelle: DeBondt und Thaler

Die Ergebnisse sind statistisch relevant und robust. Dies ist ein Indiz dafür, dass die Märkte weder vor noch nach der Messung einem Random-Walk folgen, respektive die Kursschwankungen nicht nur allein aufgrund von Kennzahlen rational erklärt werden können. Haben einige Aktien zuerst auf Informationen oder Gegebenheiten überreagiert, pendeln sich die Renditen zukünftig wieder im langfristigen Durchschnitt ein.

3.3.2.Herding / Herdenverhalten

Herding beschreibt ein Phänomen, welches nicht nur in der Finanzbranche auftritt. Es ist ein Trieb der Menschheit, sich möglichst anzugleichen, um in der Gruppe akzeptiert zu werden. Banerjee lieferte die Grundlagen für die Anwendung auf den Finanzmarkt im Jahr 1992 (S. 797 ff.). Einzelgänger werden sozial ausgegrenzt, belächelt und nicht für voll genommen. In freien Märkten, wo der Preis über Nachfrage und Angebot bestimmt wird, birgt dieser Instinkt grosse Risiken. Es können und werden Blasen entstehen, da sich einzelne Stimmen zu wenig Gehör verschaffen können.  Sogar wenn die Gruppenmitglieder skeptisch sind, versuchen sie im Strom mitzuschwimmen, um keine Gewinn-Chance zu verpassen (Angst vor Bedauern). Dieser Bias verknüpft mit den Echo-Mechanismen, lässt Kurse weg von rational erklärbaren Levels treiben. Ein Platzen dieser Blasen geschieht, wenn genügend Anleger über die neue Situation im Klaren sind. Kurszerfälle können wiederum rasch und übertrieben einsetzen und solange dauern, bis die Mehrzahl der Personen wieder Chancen erkennt. Ein guter Indikator für die Positionierung der Herde ist der UBS Index of Investor Optimism. 

3.3.3.Weitere Ideen zum Marktverhalten

Robert Shiller (2005, S. 73 ff.) beschreibt in seinem Buch „Irrational Exuberance“ wie sich der Optimismus der Anleger nach positiven Börsenjahren verändert und sich eine Art Goldgräberstimmung entwickelt. Er sagte im Millenniumsjahr eine grosse Korrektur an den Märkten korrekt voraus, stiess bei den Zuhörern seiner Präsentation aber auf taube Ohren, obwohl viele seine Ansicht sogar teilten. Niemand hatte den Mut, sich gegen die grosse Herde, den Gesamtmarkt, zu stellen. In seiner zweiten Auflage im Jahr 2005 findet er die Bewertungen der Aktienmärkte noch immer zu hoch und warnt, dass nach einem Crash die Kurse nicht jedes Mal neue Höchststände erreichen, so wie dies viele Anleger erwarten. Speziell im Bereich der Immobilien sieht er eine Blase, hervorgerufen durch eine lockere Geldpolitik und typische Gegebenheiten, welche Blasenbildungen unterstützen. Hohe Medienpräsenz, neue Technologien, sich selbst überschätzende Personen, verdeckte Risiken und ein erhöhter Spieltrieb sind dabei häufige Faktoren. 

Bei Blasen gilt es zu beachten, dass eine Überbewertung normalerweise an einem anderen Ort eine Unterbewertung hervorruft. Das Walrasian Equilibrium vom Schweizer Marie-Esprit-Léon Walras zeigt auf, dass die  Summe aller Überschuss-Nachfragen in allen Märkten immer Null ist, was bedeutet, dass die kumulierten Angebots- und Nachfragemengen gleich sind, jedoch unterschiedlich auf verschiedene Güter verteilt sein können. Deshalb sollten Marktschwankungen auch nicht vereinfacht erklärt werden, denn meistens ist es ein Zusammenspiel vieler Faktoren wie zum Beispiel Zinsniveau, Politik, Erwartungen und so weiter, welche kombiniert die Märkte beeinflussen.

WAHRNEHMUNG / WAHRNEHMUNGSSTÖRUNGEN

Das zweite Themenfeld beinhaltet die für die Finanzwissenschaft relevanten Theorien aus der kognitiven Psychologie. Die meisten Erkenntnisse wurden nicht aus der Finanzwissenschaft gewonnen und sind älter als die eigentliche Behavioral Finance. Andere wie zum Beispiel die Technische Analyse (Datenreihenanalyse) gründen allerdings in der Analyse vergangener Finanzmarktdaten. Der Mensch hat die für den Alltag überlebenswichtige Fähigkeit, Informationen zu vereinfachen und so auf diese Art extrem rasch zu verarbeiten. Unter dem Punkt „Heuristiken“ wird diese Komplexitätsreduzierung beschrieben (Shefrin, 2002, S. 14). Neben der Informations-verarbeitung in Folge von menschlichen Wahrnehmungen aufgrund des Wissens und der Vorstellung gibt es aber auch die emotionale Seite. Menschen werden oft von Gefühlen und Vorlieben gelenkt. Unter dem Punkt „Neigungen“ werden diese sogenannten „Biases“ näher erläutert. Abbildung 4 zeigt die vorgenommene Unterteilung im Feld der Wahrnehmung.

Abbildung 4: Theorien im Feld „Wahrnehmung“. Eigene Aufbereitung.

3.2.1.Heuristiken

Heuristik bezeichnet die Methode, Entscheidungen zu treffen oder Erklärungen liefern zu können, ohne fundiertes Wissen zu besitzen. Die Heuristik ist eine Erweiterung der Intuition, bei welcher zum blitzartigen, gewohnheitsmässigen Handeln ein problemlösendes Denken aus der eigenen Erfahrung.  Für Alltagssituationen ist die Heuristik eine ungemein wichtige Gabe, um den enormen Informationsfluss rasch analysieren und die richtigen Schlüsse ziehen zu können. Diese Gabe ist auch als selektive Wahrnehmung bekannt. Diese Vereinfachung birgt jedoch auch Risiken. Menschen fühlen sich zu sicher, sind zu optimistisch und gehen zu viele Risiken ein, weil sie glauben, eine Situation, insbesondere wenn sie früheren Konstellationen gleicht, genau einschätzen zu können. Ein wichtiger Begriff im Gebiet der kognitiven Sozialpsychologie ist die kognitive Dissonanz von Leon Festinger (1957), einem amerikanischen Psychologen. Personen fühlen sich unwohl, wenn sie gleichzeitig zwei widersprüchliche Erkenntnisse besitzen oder gegen die eigene Überzeugung handeln. Sie versuchen diesen Widerspruch durch eine Veränderung der persönlichen Einstellung zu mindern. Dies kann zu fehlerhaften Vorstellungen und somit zu irrationalem Verhalten führen. Die folgenden Absätze beschreiben die bekanntesten Heuristiken und die davon abgeleiteten Instrumente.

a) Framing

Unter Framing wird der Einfluss von Informationen je nach Art der Darstellung verstanden. Eine identische Information welche sich ungleich präsentiert, wird von Personen je nach Norm, Gewohnheit oder persönlichen Charakteristiken unterschiedlich aufgenommen. Entsprechend werden deshalb verschiedene Lösungen vorgezogen. Amos Tversky und Daniel Kahneman (1981) beweisen, dass die klassischen Grundsätze der rationalen Entscheidung (Homo Oeconomicus) partiell nicht mehr gelten. Eines der bekanntesten Beispiele, um das Vorhandensein von Framing und das dazugehörige irrationale Verhalten zu belegen, wird in Tabelle 3 dargestellt. Es zeigt die Auswirkungen einer gefährlichen asiatischen Krankheit, bei welcher bis zu 600 Personen sterben können. Personen müssen sich für je eine Alternative (A oder B, C oder D) aus zwei Programmen entscheiden. Die Situation wurde zwei Personengruppen jeweils unterschiedlich präsentiert (Kahneman und Tversky, 1979).

Tabelle 3: Auswahl mit Framing.

Obwohl bei allen Programmen die erwartete Anzahl Überlebender 200 beträgt, entschieden sich die befragten Personen je nach Problemstellung unterschiedlich. Sie wollten zwar 200 Leben gewiss in Sicherheit bringen (Programm A vor Programm B), andererseits wurde jedoch die 1/3 Chance bevorzugt, 400 Totgeweihte eventuell zu retten (und dafür 200 Leben zu riskieren, Programm D vor Programm C). Dieses und weitere Beispiele zeigen, wie unterschiedlich Personen bei gleichem Sachverhalt reagieren. Dies kann bedeuten, dass Personen durch die Medien und heutzutage vor allem durch das Internet je nach Präsentation derselben Information unterschiedlich beeinflusst werden können. Dies bietet Raum für raffinierte (betrügerische) Personen, um sich auf Kosten anderer zu bereichern. Vergleichbar mit einem Pokerspiel, können sich geschickte Spieler somit merkbar von den anderen abheben und eine Überrendite erzielen.

b) House-money Effekt & Representativitätsheuristik

Thaler und Johnson (1990) zeigen auf, wie unterschiedlich Personen nach realisierten Gewinnen respektive Verlusten reagieren. Nach verwirklichten Gewinnen sind Leute eher bereit, grössere Risiken einzugehen, da der Buchgewinn noch nicht zum privaten Vermögen gezählt wird. Dieser Effekt wird „House money effect“ genannt und tritt wegen einer verzerrten Wahrnehmung von Gewinnen und Verlusten auf. Zudem scheint dieser Effekt im Gegensatz zur Prospect Theory zu stehen, wo die Risikoaversion bei Gewinnen eher zurückgeht und bei Verlusten steigt. Gemäss Thaler und Johnson ist dieser Widerspruch jedoch nicht gegeben, da die Prospect Theory nur einzelne Sachverhalte anschaut, der House Money Effekt jedoch nacheinander anfallende Wetten kombiniert betrachtet. Die Reduktion dieses Effektes sollte Anlegern helfen, längerfristig höhere Gewinne zu erzielen (Ackert, Charupat, Church und Deaves, 2006, S. 16).

Einige der beschriebenen Heuristiken werden auch bei den Biases wieder relevant. Es handelt sich dann jedoch um konkrete Handlungen aufgrund von Präferenzen, welche wegen Wahrnehmungsverzerrungen vorgenommen werden. Ein Beispiel dazu ist der Halo-Effekt und der Repräsentations-Bias, welche wegen der Repräsentationsheuristik auftreten. Die Repräsentationsheuristik ist eine Art Daumenregel, Eigenschaften aufgrund von wenigen Merkmalen, welche repräsentativ erscheinen, einer Person oder Situation zuzuweisen.  Kahneman und Tversky (1982) haben dieses Phänomen bei Anlegern beobachtet und ausführlich beschrieben.

c) Technische Analyse

Unter technischer Analyse wird das Studium und die Auswertung vergangener Marktdaten, hauptsächlich der Kurse und Volumina, verstanden. Diese Informationen werden verwendet, um kurzfristige oder langfristige Anlageentscheidungen zu treffen. Die technische Analyse geht von korrekten Preisen aus. Alle vorhandenen Informationen sind bereits in den Kursen eingepreist. Allerdings besagt die technische Analyse im Gegensatz zur EMH, dass Kurse nicht zufällig zustande kommen (non-random ), sondern verschiedenen Trends folgen und einer Autokorrelation unterliegen. Diese Lehre hat seinen Ursprung vor über 100 Jahren als Charles H. Dow seine Newsletter zu schreiben begann. Daraus ergab sich später das Wall Street Journal. Viele Dow Indizes wurden geschaffen, um die Aktienmärkte zu messen.

Es gibt zwei Formen der technischen Analyse: die prognostizierende und die reaktive. Die bekanntesten Vertreter findet man in der prognostizierenden Analyse. Hier werden Charts verwendet, um das breite Publikum über die zukünftige Entwicklung zu informieren. Der eigentliche Service der Anbieter besteht also in der vorausschauenden Prognose von zukünftigen Preisentwicklungen. In der reaktiven technischen Analyse befinden sich Händler, welche aufgrund von konkreten Signalen anlegen und das eigene oder fremdes Geld verwalten (Dahlquist und Kirkpatrick, 2007).

In Robert Edwards‘ und John Magee’s Buch „Technical Analysis of Stock Trends“ (2001) werden fünf Grundannahmen definiert (S. 4-7) :

 

  • Aktienpreise werden nur durch Angebot und Nachfrage bestimmt
  • Aktienpreise tendieren sich in Trends zu bewegen
  • Veränderungen in Angebot und Nachfrage ergeben Trendwechsel
  • Veränderungen in Angebot und Nachfrage können in Charts entdeckt werden
  • Chart-Formationen tendieren sich zu wiederholen

 

Diese Erkenntnisse gelten allerdings nicht nur für Aktienpreise, sondern auch für Währungskurse und Rohstoffpreise. Zudem funktionieren einige Indikatoren nur bei bestimmten Titeln oder Anlageklassen. Einige Signale müssen je nach zugrundeliegendem Wert adjustiert werden, so zum Beispiel der RSI (Relative Strength Index).

Da die technische Analyse konkrete Tipps und Massnahmen liefert Geld zu verwalten und zu vermehren, ist es die kommerzialisierteste Form der Behavioral Finance. Neben vielen wissenschaftlichen Arbeiten findet man auf dem Markt unzählige Werke, welche etwas populistisch wirken. Sie instrumentalisieren die aktuellen Probleme der Anleger für ihre Zwecke und stellen einfache Lösungen vor. Die Realisierbarkeit bleibt dabei weitgehend ausser Acht gelassen. Da die Erklärung der wichtigsten technischen Indikatoren den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, begnügt sich diese Schrift mit einer kurzen Klassifizierung und Auflistung der zentralen Indikatoren in Tabelle 4 (nicht abschliessend).

Tabelle 4: Technische Indikatoren.

3.2.2.Neigungen / Biases

Menschen haben mannigfaltig viele und unterschiedliche Vorlieben. Alle zu erfassen wäre weder sinnvoll noch praktikabel. Deshalb werden in der Behavioral Finance nur die systematischen Neigungen betrachtet. Die verschiedenen Passionen können nach verschiedenen Kriterien gruppiert werden. Zweckmäßig scheint eine Gliederung basierend auf den Gründen für die Vorliebe. So ergeben sich vier Hauptkategorien: Gefühle, Motivation, Wissen und Heuristiken. Bei den Gefühlen sind die emotionalen Zustände vor einer Handlung ausschlaggebend, im Gegensatz zur Motivation, wo die Handlung kausal für die anschliessenden Gefühle wirkt. Beim (vermeintlichen) Wissen wird eine persönliche Einschätzung verwendet, um daraus eine Handlung abzuleiten. Dieses Feld liegt deshalb nahe bei der Heuristik, bei welcher eine Situation vereinfacht dargestellt wird, so dass man diese schnell erfassen und die vermeintlich richtigen Schlüsse daraus ziehen kann. Die vier folgenden Tabellen zeigen die wichtigsten Neigungen unter den entsprechenden Kategorien auf. Einige Begriffe wurden ins Deutsche übersetzt, bei anderen ist der englische Begriff geläufiger und aussagekräftiger.

Tabelle 5: Neigungen: Themenfeld Gefühle / Emotionen. Eigene Aufbereitung.

Tabelle 6: Neigungen: Themenfeld Motivation. Eigene Aufbereitung.

Tabelle 7: Neigungen: Themenfeld Wissen. Eigene Aufbereitung.

Tabelle 8: Neigungen: Themenfeld Heuristiken. Eigene Aufbereitung.

PERSÖNLICHER NUTZEN

Unter persönlichem Nutzen werden alle Theorien zusammengefasst, welche mit der Nutzentheorie in Zusammenhang stehen. Diese Nutzenfunktionen sind ausschlaggebend für das persönliche Verhalten, welches unter der Annahme des Homo Oeconomicus oft nicht erklärbar ist. Dieses Individualverhalten wird bewusst vom Marktverhalten (Absatz 3.3) getrennt. In Abbildung 2 werden drei Haupttheorien dem persönlichen Nutzen zugeteilt. Es sind dies die Prospekt Theorie, der Dispositionseffekt und die Aversion gegen Enttäuschungen.

Abbildung 2: Theorien im Feld „Persönlicher Nutzen“. Eigene Aufbereitung.

3.1.1.Prospect Theory

Die Prospect Theory ist eine der wichtigsten Theorien im Bereich der verhaltensorientierten Finanzwissenschaften. Sie wurde 1979 von Daniel Kahneman und Amos Tversky eingeführt und löste eine Forschungswelle in diesem Gebiet aus. Kahneman erhielt 2002 den Nobelpreis für das „Einführen von Einsichten der psychologischen Forschung in die Wirtschaftswissenschaften, besonders bezüglich Beurteilungen und Entscheidungen bei Unsicherheit“. Wenn Tversky 1996 nicht verstorben wäre, würde er den Nobelpreis sicherlich mit Kahneman teilen. Die Theorie beschreibt, wie in Abbildung 3 gezeigt, dass der subjektiv empfundene Nutzen eines Gewinnes konkav verläuft, im Bereich des Verlustes jedoch konvex. Die konvexe Funktion beim Referenzpunkt ist dabei rund 2.25mal steiler als die konkave Funktion. Verluste schmerzen also mehr, als dass Gewinne Freude bereiten, auch bekannt als Verlustaversion. Deshalb steigt die Risikoaversion von Menschen, sobald ein Gewinn absehbar ist, und sinkt, wenn Buchverluste eingetreten sind. Dies führt zu einem irrationalen Verhalten, so dass verlustbringende Positionen zu lange gehalten und die Risiken durch Aufstockung der Position zum Teil gar erhöht werden, dem sogenannten Dispositionseffekt.

Abbildung 3: Prospect Theory. Quelle: Kahneman und Tversky, 1986.

3.1.2.Dispositionseffekt

Fundament für die Erklärung des Dispositionseffektes ist die Prospect Theory sowie der Referenzpreis. Dieser Effekt zeigt, dass Gewinne zu früh realisiert und Verluste zu lange gehalten werden, also ein unterschiedliches Verhalten von Anlegern im Gewinn- und Verlustfall besteht. Im Gegensatz zur Prospect Theory wird also nicht nur der Nutzen des Anlegers bewertet, sondern konkret aufgezeigt, wie unterschiedlich und irrational die Verhaltensmuster sind. Dieser Effekt kann deshalb, im Gegensatz zum Effekt des negativen Gefühls bei Verlusten, mittels geschickten, systematischen und vor allem konsequenten Handelsstrategien vermieden werden.

Um überhaupt abschätzen zu können, ob sich eine Anlage im Gewinn- oder Verlustbereich befindet, muss ein Referenzpreis bestimmt werden. Normalerweise ist es der durchschnittliche Einstandspreis einer Anlage. Dieser ist jedoch nicht immer fix. Wenn eine Aktie zuerst gestiegen ist, kann beobachtet werden, dass Investoren teilweise den neuen Höchststand als Referenzpunkt sehen und deshalb nur über diesem Level verkaufen (Niedrich, Sharma und Wedell, 2001, S. 340 ff.). Wenn ein Aktienkurs sinkt und Investoren zukaufen, wird entweder der neue Durchschnittskurs zum Referenzpreis oder der Anleger hat für jeden Teilkauf einen eigenen Referenzpreis gespeichert (Mental Accounting). Ein Erklärungsversuch für den Dispositionseffekt liefert das mathematische Beispiel in Tabelle 1(eigene Gedanken): Der Zielpreis einer Aktie abzüglich dem Referenzpreis ergibt das vermutete Potenzial einer Aktie. Wenn der Kurs steigt (neu = aktueller Preis), wird das Potenzial kleiner, weshalb das eingegangene Risiko das geringere Potenzial nicht mehr rechtfertigt und ein Investor eher verkauft. Wenn sich der Kurs jedoch negativ entwickelt, wird die Differenz zwischen aktuellem Preis und Zielpreis grösser, was dem Anleger höhere Chancen verspricht. Er wird die Position also eher halten oder aufstocken. Weitere wichtige Ergebnisse im Bereich der Behavioral Pricing Forschung haben Monroe (1973, S. 70 ff.) sowie Niedrich, Sharma und Wedell (2001, S. 339 ff.) geliefert.

Tabelle 1: Erklärungsversuch Dispositionseffekt. Eigene Aufbereitung.

Ein weiterer Begriff im Zusammenhang mit dem Dispositionseffekt ist der sogenannte sunk cost effect. Anleger sind dabei eher bereit, weitere Investitionen zu tätigen, wenn bereits Kosten entstanden sind. Dieser Effekt bewirkt, dass Anleger an erfolglosen Projekten festhalten, auch wenn ein Scheitern bereits absehbar ist.

3.1.3.Disappointment Aversion

Die Aversion vor Enttäuschungen (Disappointment aversion) teilt einige Merkmale mit der Verlustaversion, basiert jedoch auf der Idee, dass Referenzpreise endogen bestimmt werden (Ang, Bekaert und Liu, 2003, S. 481 ff.). Der wahrgenommene Gewinn oder Verlust wird in Abhängigkeit zum erwarteten Ergebnis gestellt. Ein allfälliger Lotteriegewinn (positives Ereignis) wird als Enttäuschung empfunden, sofern es der tiefste zu erwartende Gewinn war. Diese Aversion wird verwendet, um das Equity-Premium-Puzzle in der langen Frist zu erklären. Da Aktien eine hohe Volatilität aufweisen und hohe Gewinne versprechen, kann es für Investoren nicht befriedigend sein, wenn positive Renditen unterhalb des Erwartungswertes erwirtschaftet werden. Unter der Annahme aus der Prospect Theory, dass Verluste mehr Gefühle auslösen als Gewinne, könnte die Überrendite bei Aktien bei Anlegern mit einem langen Horizont als eine Art Belohnung für die Geduld angesehen werden. Denn die Aktienrenditen liegen im Vergleich zum Risiko und den Portfolio-Evaluierungskosten in der kurzen Frist nur unwesentlich über den Obligationenrenditen und weisen beträchtlich höhere Schwankungen auf.

3.1.4.Weitere Theorien

Natürlich gibt es noch weitere Theorien und Modelle, welche der Kategorie des persönlichen Nutzens und des persönlichen Verhaltens zugeschrieben werden können. Drei davon sind besonders interessant und erwähnenswert.

Das Allais Paradox vom Nobelpreisträger Maurice Allais ist ein Entscheidungsproblem bei der Konfrontation mit Wahrscheinlichkeiten. Es zeigt grosse Inkonsistenzen mit der Erwartungs-Nutzen Theorie und ist deswegen ein weiterer Puzzlestein, welcher das Vorhandensein von irrationalem Verhalten belegt. Dieses Paradoxon wird in der heutigen Anlageberatung auch in Fragebogen verwendet, um die Risikobereitschaft von Personen festzustellen. Solche Fragebogen werden im Absatz 4.4 beschrieben und ausgewertet.

Verschiedene empirische Experimente führten zum Ergebnis, dass Menschen einen relativ kleinen und sicheren Gewinn einem relativ grossen und unsicheren Gewinn vorziehen. Andererseits würden dieselben Personen das Risiko in Kauf nehmen, einen relativ grossen Verlust zu erzielen, solange dieser nur mit kleiner Wahrscheinlichkeit eintritt. Obwohl bei beiden Tests der Erwartungswert derselbe war, gab es klare Unterschiede in der Präferenz der Personen. Auch Kahneman und Tversky bedienten sich dem Paradoxon für die Prospect Theory. Einige Beispiele sollen dies in Tabelle 2 illustrieren:

Tabelle 2: Allais Paradox. Eigene Aufbereitung.

In der ersten und dritten Kolonne werden Gewinn- respektive Verlustbeträge aufgezeigt, welche mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eintreten. Diese Wahrscheinlichkeit wird in Kolonne zwei respektive vier gezeigt. Rationale Menschen würden jeweils das erste Spiel mit dem zweiten gleichsetzen. Jedoch zeigen sich Unterschiede wenn der Erwartungswert positiv ist im Vergleich zu einem Spiel wo dieser negativ ist (Zeile 1&2, 3&4, 5&6). In den ersten beiden Zeilen wird der Normalfall gezeigt. Trotz gleich hohen Erwartungswerten (w) wählen Personen lieber einen sicheren Gewinn, akzeptieren aber einen höheren Verlust mit tieferer Wahrscheinlichkeit. Die dritte und vierte Zeile zeigen ein neues Verhalten, wenn sehr tiefe sichere Gewinne, sehr hohen möglichen Gewinnen gegenübergestellt werden und vice versa für die Verluste. Die nichtlinearen Wahrscheinlichkeiten scheinen in diesem Beispiel für die Änderung der Präferenz von Investoren ausschlaggebend zu sein. Die Entscheidung tendiert dann Richtung Chance auf den hohen Gewinn respektive zum sicheren tiefen Verlust (zweiteres um einen unwahrscheinlichen, aber möglichen hohen Verlust auszuschliessen). Zudem zeigen Zeile fünf und sechs eine zunehmende Sensitivität bei steigenden Wahrscheinlichkeiten. Rationale Menschen müssten in diesen Spielen indifferent sein.

Zudem verfallen viele der sogenannten Gambler’s Fallacy, das heisst einem Trugschluss bei Spielern: Die meisten würden ein riskantes Spiel mit positivem Erwartungswert nur spielen, wenn es oft genug gespielt wird und sie dabei nicht hinschauen müssten. So gehen viele davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit, im Roulette auf Schwarz zu treffen höher ist, nachdem fünfmal hintereinander Rot getroffen wurde. Diese Beobachtung machte der Autor bei einem Casinobesuch im Januar 2010. Die Chiptürme auf der Farbe, welche schon länger nicht mehr gewann, waren konstant merklich höher als auf der anderen Farbe. Aufgrund ihrem Glauben setzen die Spieler zudem mehr Kapital ein wie zu Beginn des Spiels. Natürlich liegt die Wahrscheinlichkeit jedoch bei jeder Runde von neuem bei rund 50%.

Zum Allais Paradox gesellt sich die Ambiguitätsaversion respektive „uncertainty aversion“, ebenfalls ein Entscheidungsproblem, wie sie Larry Epstein (1997, S. 6) beschreibt. Prinzipiell darf Ambiguität, sprich Unsicherheit, gemäss der Erwartungsnutzentheorie keinen Einfluss auf das Entscheidungsverhalten haben. Zwei Alternativen, welche mit identischen Wahrscheinlichkeiten zum selben Ergebnis führen, sollten gleich bewertet werden. Epstein zeigt jedoch, dass stark ambiguitätsbehaftete Alternativen weniger attraktiv sind wie Alternativen mit bekannten Wahrscheinlichkeiten, auch wenn sich die Konsequenzen nicht unterscheiden. Diese Aversion wird im Ellsberg Paradox aufgezeigt: Leute präferieren die Wette, bei einer Ziehung aus einer Urne von 50 roten und 50 schwarzen Bällen, eine rote zu ziehen vor derselben Wette, wenn die Verteilung der Bälle unbekannt ist. Dies ist für die Finanzmarkttheorie sehr relevant, denn Personen investieren ständig unter Unsicherheit. Wie gross diese gefühlte  Unsicherheit ist, unterscheidet sich indessen von Anleger zu Anleger und kann sich über die Zeit verändern. Diese Furcht vor Unbekanntem führt möglicherweise zu einem der nachweisbarsten Vorlieben von Investoren: Dem Home Bias. 

Das dritte interessante Phänomen ist die Überbewertung von persönlichem Besitz. Personen bewerten eigene Güter wertvoller, als sie für dieselben Güter zu zahlen bereit sind. Dieser Besitztums-Effekt (Endowment Effekt) wurde 1980 von Thaler entdeckt und im Jahre 1991 von  Kahneman, Knetsch und Thaler ausführlich beschrieben. Er gründet in der Neigung zum Status-quo (status-quo bias) von Samuelson und Zeckhauser (1988, S. 8-9), das heisst einer Abneigung gegenüber Veränderungen. Dies kann unter Umständen zu einer Verzerrung des fairen Marktpreises führen. Der geforderte Aufpreis für einen Verkauf des eigenen Gutes kann als eine Art Schmerzensgeld für den Verlust des Besitzes gesehen werden (Kahneman, Knetsch und Thaler, 1980, S. 198). Zum Beispiel wird jemand ein neu gekauftes Auto nicht sofort zum selben Preis wieder verkaufen, da der Einstandspreis als fair angesehen wird und man Freude am neuen Fahrzeug hat. Nach einigen Kilometern nimmt der faire Preis ab, doch Personen sind über längere Zeit nicht bereit das Eigentum unter dem Einstandspreis zu verkaufen, auch wenn eventuell günstigere Alternativen vorhanden wären. Auf die Finanzwelt übertragen bedeutet dies, dass verlustbringende Positionen tendenziell kaum durch allenfalls bessere Alternativen ersetzt werden, da Anleger persönlich von einem höheren Wert des gehaltenen Titels ausgehen.

Einleitung Behavioral Finance

Die Behavioral Finance oder verhaltensorientierte Finanzwissenschaft ist eine relativ junge, interdisziplinäre Wissenschaft, welche im Gegensatz zur Efficient Market Hypothesis (EMH) von Eugene Fama aus dem Jahre 1970 von nicht rationalen Personen und ineffizienten Märkten ausgeht. Diese Lehre untersucht die Auswirkungen der Psychologie auf die Märkte und deren Teilnehmer. Sie ist deswegen interessant, weil sie erforscht, wie und warum Märkte ineffizient sein können. Obwohl Gustave le Bon bereits im Jahre 1896 das Buch „The Crowd: A Study of the Popular Mind“ schrieb, ein einflussreiches Werk der sozialen Psychologie, ist die Anwendung der Psychologie in der Finanzwissenschaft erst rund 35 Jahre alt.

GESCHICHTE

Zwei bedeutende Psychologen prägten die Grundlagenforschung im Bereich des verhaltens-orientierten Handelns. Daniel Kahneman und Amos Tversky untersuchten im Jahre 1974 das Verhalten unter Unsicherheit und stellten verschiedene Heuristiken fest. Im Jahre 1979 präsentierten die beiden im Magazin Econometrica einen kritischen Artikel zur Erwartungs-Nutzen-Theorie von Neumann und Morgenstern aus dem Jahre 1944. Diese Theorie geht vom Homo Oeconomicus aus, einem Menschen der aus einer Menge an Alternativen diejenige auswählt, welche ihm den grössten Nutzen bringt. Der Homo Oeconomicus handelt also nutzenorientiert, rational und ist immer vollständig informiert. Die kritischen Autoren stellen eine neue Theorie auf, welche als Grundlage für diverse weitere Forschungsprojekte über die folgenden 30 Jahre diente: die Prospect Theory (S. 263 – 292). 1974 entdeckten die beiden Forscher einen weiteren Puzzlestein für die Erklärung von irrationalem Verhalten an den Märkten, das sogenannte Framing (S. 1126).

1985 wurde ein Artikel von Werner De Bondt und Richard Thaler publiziert, welcher die Wissenschaft überraschte und grosse Ineffizienzen am Aktienmarkt aufzeigte. Die Modelle der Overreaction und des Mental-Accounting wurden eingeführt (S. 793 ff.). Dies ist die eigentliche Geburtsstunde der Behavioral Finance. Weitere bedeutende Werke folgten im Jahre 1992 über das Herdenverhalten von Banerjee (S. 797 ff.), über Contrarian Investments (Value Strategien) im Jahre 1994 von Lakonishok, Schleifer und Vishny (S. 1541 ff.) sowie von Benartzi und Thaler (1995, S. 73 ff.) in Bezug auf die Prämie bei Aktienanlagen (Equity premium puzzle). Während dieser Zeit wurden auch die Vorlieben respektive Neigungen der Anleger näher untersucht. Diese sogenannten Biases stellen neben den Heuristiken einen weiteren grossen Themenblock der Behavioral Finance dar.

Klassifizierung

In dieser relativ jungen Forschung gibt es noch keine richtige Klassifizierung der einzelnen Disziplinen. Neue Theorien werden entwickelt und bestehende Theorien werden aneinandergeknüpft – eine eigentliche Einordung findet jedoch nicht statt. Die Gründe dafür liegen wohl darin, dass es eine interdisziplinäre Lehre ist, welche zum Beispiel Elemente der Kognitionspsychologie (Intuition) mit denen der Verhaltenspsychologie mischt, oder das Verhalten einzelner Personen auf eine Gruppe, respektive das Marktverhalten, projiziert. In einem ersten Schritt wird deshalb versucht, die Themengebiete sinnvoll einzugrenzen und zu bezeichnen, um einen Überblick über das gesamte Feld zu geben.

Abbildung 1 zeigt die vom Autor vorgenommene Einteilung der Behavioral Finance in drei Themenfelder: Persönlicher Nutzen, Wahrnehmung und Marktverhalten. Diesen Themenfeldern werden in den nächsten Kapiteln die wichtigsten Theorien der verhaltensorientierten Finanzwissenschaft zugeordnet. Ausschlag für diese Gliederung gaben die folgenden Gedanken: Handlungen können oft durch den persönlichen Nutzen erklärt werden, jedoch können auch Wahrnehmungsstörungen aus dem Feld der kognitiven Psychologie für ein bestimmtes Verhalten kausal verantwortlich sein. Deshalb wird zwischen den Themenfeldern „Persönlicher Nutzen“ und „Wahrnehmung“ unterschieden. Zudem erscheint es sinnvoll, beobachtbare Marktschwankungen welche nicht einzelnen Investoren zugeordnet werden können, von denen einzelner Marktteilnehmer zu trennen. Im dritten Themenfeld werden deswegen Beobachtungen über das Marktverhalten beschrieben. Diese werden meist durch Theorien aus den ersten beiden Feldern erklärt.

 

Abbildung 1: Übersicht Behavioral Finance Themenfelder.

Eine vollständige Übersicht der Einteilung der behandelten Theorien wird im Anhang in Abbildung 22 aufgezeigt. Zum besseren Verständnis werden die Theorien in ihrer ursprüngliche benannten Form, meistens in Englisch, aufgelistet. Wo nötig, werden die Begriffe ins Deutsche übersetzt und erklärt.